Obsoleszenzmanagement in der Luftfahrtindustrie

Was ist Obsoleszenz und Obsoleszenzmanagement?

Der Begriff Obsoleszenz hat seinen Ursprung im Lateinischen „obsolescere “ und bedeutet alt werden, sich abnutzen oder aus der Mode kommen. Obsoleszenz beschreibt einen Zustand, in dem ein Gut oder ein Prozess das Ende seines Lebenszyklus erreicht.

In der Industrie wird mit der Obsoleszenz der Umstand verbunden, dass projektrelevante Produkte, Bauteile, Dokumente oder auch Wissen an Aktualität verlieren bzw. veralten und dabei unbrauchbar werden und eine Reparatur nicht mehr möglich oder wirtschaftlich ist. Diese Teile werden dann vom Hersteller nicht weiter produziert, so dass die Kunden gezwungen sind, Maßnahmen zu ergreifen.

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Die dahinterstehende systematische Auseinandersetzung mit allen zugehörigen Aktivitäten wird als Obsoleszenzmanagement (OM) bezeichnet. Dessen Ziel ist die Sicherstellung einer dauerhaften Einsatzbereitschaft der eigenen Produkte im Markt. Voraussetzung dafür ist eine langfristige Verfügbarkeit zugelieferter Teile und somit die Verhinderung von oder der gesteuerte Umgang mit Abkündigungen. Nur so lassen sich negative Einflüsse auf den Produktlebenszyklus, insbesondere in Bezug auf die Herstellbarkeit, aber auch der Ersatzteilversorgung im Rahmen von Instandhaltung / Reparatur umgehen.

Zwar hat das Obsoleszenzmanagement bereits in den vergangenen Jahrzehnten gerade in Raumfahrt und Verteidigung eine Rolle gespielt, und auch in der Luftfahrt sind die Risiken von Abkündigungen nicht unberücksichtigt geblieben. Vielfach fristete das OM dabei jedoch ein Nischendasein, das mehr reaktiv als proaktiv ausgerichtet war.

Gerade durch den zunehmenden Einsatz von elektronischen Bauteilen und immer kürzeren Lebenszyklen hat das Obsoleszenzmanagement in den letzten fünf Jahren aber erheblich an Bedeutung gewonnen. Auch die EN 9100:2018 für Betrieb der Luftfahrt, Raumfahrt und Verteidigung enthält in Kap. 8.3.3 f) erstmals eine explizite Anforderung an die Berücksichtigung von Obsoleszenzrisiken in der Entwicklung. Hilfestellung für die Einführung standardisierter Obsoleszenzmanagement-Systeme bietet die gleichnamige DIN EN 62402.

Vorteile des Obsoleszenzmanagements

Der primäre Nutzen des OM liegt in der systematischen Aufrechterhaltung der System- bzw. Teileverfügbarkeit und der Vermeidung plötzlicher Notfallmaßnahmen zur Eindämmung von Ausfallrisiken. Gefährdete Bauteile werden mittels Obsoleszenzmanagement frühzeitig erkannt, überraschende Abkündigungen können vermieden oder deren Auswirkungen auf die operative Teileverfügbarkeit minimal gehalten werden. Insoweit fungiert das Obsoleszenz Management immer auch als ein wichtiger Teil des Risikomanagements.

Nicht zuletzt können mittels Obsoleszenzmanagement Kosten vorausschauender geplant werden. Hoch entwickelte OM-Systeme umfassen nämlich nicht nur Planungen zu technischen Bauteil-Verfügbarkeiten und Austauschbarkeiten sowie andere risikoreduzierende Maßnahmen, sondern liefern auch Daten für die betriebliche Finanz- und Investitionsplanung sowie die produktbezogenen Life-Cycle Kosten.

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Maßnahmen des Obsoleszenzmanagements

Betriebe können aktive oder reaktive Maßnahmen ergreifen, um unerwarteten Materialabkündigungen durch Zulieferer vorzubeugen und so negative Einflüsse auf die eigenen Produkte zu verhindern. Beim reaktiven Obsoleszenzmanagement wird erst gehandelt, wenn sich bereits Obsoleszenzen abzeichnen. Folgende Maßnahmen können dabei getroffen werden:

  • Last-Buy von abgekündigten Bauteilen,
  • Bauteilwechsel (via Austauschbarkeiten),
  • Ersatzteilaufbereitung,
  • Teilnachbau,
  • Lieferantenwechsel,
  • Re-Design des Produkts.

Wie bei allen reaktiven Maßnahmen sind Betriebe hier in der Wahl ihrer Alternativen vielfach eingeschränkt, weil in der Regel kurzfristg Handlungsbedarf besteht. Kennzeichen eines reaktiven Obsoleszenzmanagements sind daher vielfach Second-best Lösungen, erhöhte Kosten und Termindruck.

Wirkungsvoller ist daher das aktive Obsoleszenzmanagement bei dem Abkündigungen durch vorausschauende Planung entgegengewirkt wird. Obsoleszenzrisiken werden hier bereits in der Entwicklungsphase einbezogen, so wie es auch die Luftfahrtnorm EN 9100:2018 fordert. Um hier ein betrieblich dauerhaft strukturiertes Vorgehen sicherzustellen, muss ein Prozess entwickelt werden, der den Umgang mit Obsoleszenzrisiken steuert. Dessen Ausgangspunkt sind Bauteilanalysen, um auf Basis der Bestandsaufnahme eine Risikobewertung insbesondere im Hinblick auf die Technologie, die Wiederbeschaffung und den Lieferanten vorzunehmen. Auf dieser Basis lassen sich dann z.B. folgenden Maßnahmen ergreifen:

  • Vertragliche Vereinbarungen zur Sicherstellung angemessener
  • Verfügbarkeiten mit Herstellern, Lieferanten und Kunden,
  • Management der Lagerbestände, ggf. Lagern des künftig erwarteten Gesamtbedarfs,
  • Vermeidung von Exoten,
  • Verlängerung der Lebensdauer verfügbarer Bauteile
  • frühzeitige Planung / Berücksichtigung von Austauschbarkeiten

Ein leistungsfähiges Obsoleszenzmanagement ist nicht primär reaktiv ausgerichtet, sondern nimmt mögliche Abkündigungen durch aktive Gestaltung planerisch vorweg. Alternativen wird so rechtzeitig der Weg geebnet. Dabei sind gerade auf dem Gebiet der EN 9100:2018, also der Luftfahrt, Raumfahrt und Verteidigung, hinreichend Zeiträume für die Qualifizierung des betroffenen Bauteils selbst sowie für dessen Systemintegration zu berücksichtigen.

Im alltäglichen Praxis zeigt sich jedoch, dass bisher nur wenige Betriebe über ein aktives Obsoleszenzmanagement verfügen. Wesentlicher Grund ist unzureichendes Know-how im Hinblick auf die Prozessimplementierung und die OM-Ausgestaltung im betrieblichen Alltag. Eine wesentliche Rolle spielt aber auch nicht systematisch verfügbares Wissen zu obsoleszenzgefährdeten Bauteilen.